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Ö-Film und ORF-Krise: Den Kanzler beim Wort nehmen

Werner Faymann kennt die richtige Antwort auf die ORF-Krise: "Mehr österreichische Filme." - Ein Kommentar von Wolfgang Reiter im "Standard" (Printausgabe vom 11.9.2009)

Ganz am Ende des letzten ORF-Sommergesprächs mit Werner Faymann vor der Bregenzer Aida-Kulisse kamen sie dann doch noch auf den Tisch: die Krise des ORF und die Frage, was der Kanzler dagegen zu tun gedenkt. Gestellt hat sie Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky (Die Fälscher). Und Faymann parierte sie mit nonchalantem Lächeln: "Mehr österreichische Filme!" Das war's. Themenwechsel: Dichand. Das nämlich fällt österreichischen Journalisten (also auch Ingrid Thurnher) dann immer reflexartig ein, wenn es um Medien geht.
Aber bleiben wir beim ORF. So salopp das - suggerierter Untertitel: "Na, des haben S' doch hören wollen, Herr Regisseur?!" - auch rübergekommen ist: "Mehr österreichische Filme" ist tatsächlich die richtige Antwort auf die Krise des kränkelnden Leitmediums. Nicht nur um Partialinteressen einer Branche zu bedienen und qualifizierte Arbeitsplätze in der Kreativwirtschaft im Lande zu halten, sondern um den ORF zu einem unverwechselbaren Sender zu machen, der auch den Erwartungen der Gebührenzahler entspricht.

50 Prozent mehr Zuseher
Österreichische Filme, Serien und Dokumentationen zählen nämlich zu den beliebtesten Programmen des ORF und erreichen durchschnittlich um 50 Prozent mehr Zuseher als Kaufprogramme meist US-amerikanischer Provenienz. Und das heißt umgekehrt: Je weniger eigenständig produziertes und unverwechselbares Programm auf den Sendern des ORF läuft, desto mehr werden die Einschaltquoten einbrechen und damit auch die Werbeeinnahmen sinken. Ganz abgesehen davon, dass der ORF damit selbst an der Legitimation für die Gebührenfinanzierung sägt.
"Mehr österreichische Filme" - das bleibt in den laufenden ORF-Debatten meist völlig unterbelichtet - ist vor allem auch aus demokratiepolitischen Überlegungen die richtige Antwort auf die Krise des ORF. So wichtig die informationspolitische Funktion eines öffentlich-rechtlichen Senders auch ist: Der politische Tunnelblick auf die Nachrichten- und Info-Sendungen macht nicht nur Parteienvertreter, sondern auch viele Journalisten blind dafür, dass Fernsehen vom Publikum aus einer ganz anderen Perspektive wahrgenommen wird, nämlich primär als Unterhaltungs- und erst in zweiter Linie als Informationsmedium.
Und er ignoriert, dass öffentliche Kommunikation als unabdingbare Voraussetzung für moderne Demokratien neben der Informations- und Transparenzfunktion noch eine weitere, ebenso wichtige, nämlich integrative Funktion hat: Sie ermöglicht die Selbstwahrnehmung der Bürger und Bürgerinnen als Mitglieder einer Gesellschaft, die Probleme auf demokratische und solidarische Weise löst.

Integrative Funktion
Diese integrative Funktion erfüllen im Fernsehen in erster Linie fiktionale Programme: Filme und Serien, die kritische und satirische, heitere und traurige, romantische und komödiantische Geschichten von unterschiedlichen Menschen erzählen. Geschichten, die alltäglichen Problemen jenseits tagespolitischer Aktualitäten Resonanz verschaffen, die Einsicht in unterschiedliche Lebenslagen ermöglichen und damit - bei aller Kontroverse - für die Vermittlung zwischen den gesellschaftlichen Milieus sorgen.
Öffentliche Kommunikation kann dergestalt aber nur dann funktionieren, wenn die Dramen, Komödien und Satiren aus der Lebenswelt der Zuseher/innen kommen, also überwiegend im regionalen, nationalen oder europäischen Kontext entstehen und nicht - wie im ORF - überwiegend im US-amerikanischen. "Fällt die eigenständige Produktion von Filmen und Serien unter eine kritische Masse", so formuliert es ORF-Hauptabteilungsleiter Heinrich Mis selbstkritisch im ersten Public-Value-Bericht des ORF, "nimmt das Publikum den ORF nicht mehr als Schöpfer österreichischer Identität wahr." Mit der Folge, dass dem Publikum die Senderbindung zunehmend abhandenkommt.
Dieses Szenario zeichnet sich längst ab und wird angesichts der Sparpläne im ORF weiter dynamisiert. Schon jetzt ist der ORF im europäischen Vergleich das Schlusslicht bei den nationalen Anteilen am fiktionalen Programm. Mit lediglich 2,2 % liegt Österreich nicht nur weit hinter den großen Produktionsländern Deutschland, Frankreich, Spanien und England, die 13,4, bis 28,2 Prozent der ausgestrahlten TV-Filme und Serien selbst produzieren, sondern auch hinter vergleichbar großen Staaten wie Finnland, Schweden, Belgien oder Norwegen, deren nationale TV-Anstalten zwei- bis viermal so viel eigen- und koproduzierte Filme und Serien zeigen als der ORF.

Social-Web-Verheißungen
Dass der ORF insbesondere für junge Zuschauer als Leitmedium längst abgedankt hat, liegt nicht nur daran, dass klassisches Fernsehen mit den flexiblen, am Internet geschulten Ansprüchen der Jungen nicht mithalten kann, sondern auch daran, dass die Chance, die das Fernsehen nach wie vor gegenüber dem Internet hat, vom ORF nicht genutzt wird: die Chance auf eine großes Wir, auf Gemeinschaftserlebnisse, nach denen sich auch Jugendliche sehnen, die gerade im Internet - allen Social-Web-Verheißungen zum Trotz - vielfach Vereinzelung erfahren. Dazu braucht es aber originäre Seherlebnisse und nicht einfallslose Format-Kopien. Gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk hätte hier Erprobungsmöglichkeiten, die den Privatsendern aufgrund des Quotendrucks kaum zur Verfügung stehen: Mit Rückgriff auf das große Potenzial kreativer österreichischer Autoren, Regisseure und Schauspieler Programme zu entwickeln, von denen entscheidenden Impulse ausgehen, die über das Niveau von Ratgebersendungen und Casting-Shows hinausgehen.
"Mehr österreichische Filme!" - War das, Herr Bundeskanzler, ein Versprechen gegenüber dem wahlberechtigten ORF-Publikum? Wenn ja, dann haben Sie in den kommenden Wochen die Chance, es im Zuge der Novellierung des ORF-Gesetzes in Form konkreter Quantifizierungen einzulösen. Damit könnten Sie sich bei der nächsten Wahl noch einige weitere Wahlplakate sparen.

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